Die weissen Tiere (vollständiger Text)
Am
Morgen des 24. Dezember wollte der alte Revierjäger den
Ledergurt, an dem das jedem so bekannte Gewehr befestigt war, um
die Schulter schlagen, als er im Augenblick eine Schwäche im
Oberarm verspürte, die sich langsam, wie mit Fingern, nach dem
Herzen schob. Er mußte das Gewehr zurückstellen, den schwer
gewordenen Atem niederringen und sich in den behaglichen,
altmodischen Lehnstuhl fallen lassen, der wie zufällig zur Rast
aufforderte. Eine feuchte Kälte verursachte ein müdes
Schütteln seiner Glieder; langsam senkten sich die alten,
braun-bläulich schimmernden Hände zwischen die auf die Erde
gestellten, in den Knien abgebogenen Beine hinab; der Kopf
neigte sich nach vorne, die Augen schlossen sich und die
Wangenteile, die der struppige, graue Bart noch freiließ,
zeigten tiefe Höhlen in der schlaffen Haut.
Die grün bemalten Wände, der grüne Diwan, die kleinen grünen
Biedermeiersessel brachten ihm den geliebten Wald im Dämmer
seines Zustandes in Erinnerung; hatte er doch mehr Zeit draußen
als in dem grünen Zimmer verbracht, das Herz schlug schwach,
aber schon ohne Schmerz, die Schwere löste sich aus den
Gelenken. Morgensonne fiel durch das breite Fenster auf das alte
Gesicht.
War die Türe offen? Wie kam plötzlich der kleine Hase her und
lehnte sich mit bitternder Gebärde an das Jägers Beine -und
wie? - der Hase war nicht braun? Weiß fiel sein Fell den
Rücken lang. Ehe der Jäger Zeit hatte, darüber nachzudenken,
liefen schon viele weiße Hasen durch die immer breiter werdende
Türöffnung, setzten sich, Männchen machend, um ihn herum, die
etwas roten Augen bittend auf ihn gerichtet. Und wie? Standen
nicht erst Tränen darinnen, die wie unsichtbar über das weiße
Fell flossen?
Der alte Mann begriff nichts, als durch das Fenster - wer hatte
es geöffnet? - eine Schar Vögel hereinschwärmte: zwei weiße
Rebhühner setzten sich auf die grünen Achselspangen seines
braunen Lodenrockes und verblieben so. Ein schneeiger Auerhahn
aber postierte sich auf die Lehne des Fauteuils, hinter dem Kopf
des ungefährlichen Jägers. Der Fächer seiner Federn bildete
ein Rad, verweilte so, daß der weiße Schein den haarlosen Kopf
des Greises beinern färbte; Schneehühner, Feldwachteln,
Schnepfen flogen durch das Zimmer, und zwei weiße Krähen
setzten sich auf je ein Knie.
Was rauschte so? Was krachte? Dem Jäger zitterte sein müdes
Herz so stark, als es noch vor Freude zu zittern vermochte,
denn: Ein mächtiger weißer Hirsch, dessen Geweih fast die
Decke berührte, trat herein, hinter ihm eine Gruppe zarter
weißer Rehe mit weißen Hufen. Die großen Augen waren auf den
alten Mann gerichtet, dessen bläulich, blätterige Lippen sich
zu einem abwesenden Lächeln formten. Als ob die schönen Tiere
auf etwas warten wollten, so verharrten sie im Schritt.
Plötzlich öffnete sich die Zimmerdecke, und zwei breite Tannen
standen zwischen den Möbeln, und die weißen Rehe lehnten sich
an sie an. Das spitze elfenbeinerne Geweih des Hirsches war, da
er schiefhäuptig stand, mit seinem einen Ende wie ein Pfeil
gegen das Herz des Feindes gerichtet. Der alte Mann fühlte ein
seltsames Ziehen und Drängen im Herzen; er griff nach de Brust,
die weißen Vögel flatterten auf die Tannen, nur der Auerhahn
verblieb mit seinem Rad, und die Krähen flogen von den Knien zu
den Schultern empor. Weiße Drosseln begannen leise zu singen.
Wohlig löste sich der Druck. Die leeren Adern des Greises
erfüllte Gesang statt Blut. Er hielt die Arme den Tieren hin,
wie zur Versöhnung, aber sie wichen aus. Nur die Bäume schoben
sich näher an ihn heran, immer näher. Der Duft der Tannen
bewegte ihn, ihre Astarme schlangen sich um seinen Hals, immer
fester, fester, fester...Süß sangen die weißen Vögel, die
abseits verharrten; der große weiße Hirsch aber stand
unbeweglich, sein Geweih noch immer gegen das Herz des
Todfeindes gerichtet.
Ende |