DER ÖSTERREICHER
von Hans Prager
aus „Ewiges Österreich – Ein Spiegel seiner
Kultur, herausg. von Erwin Rieger Verlag Manz, 1928
(über diesen Aufsatz siehe
Johnston)
Den
Menschen einer Landschaft, einer Gesellschaft, eines Staates zu
schildern, ist eine Aufgabe, die immer wieder den Denker
anzieht, wiewohl sie exakt wissenschaftlich kaum zu lösen ist.
Sind doch der Elemente, welche die Art eines beseelten Wesens
aufbauen helfen, unzählige, kaum
enträtselbare, wenn es sich auch um die eigene Person oder die
eines Nächsten handelt. Nun aber soll man von der Seele „des"
Menschen sprechen, der in irgend einer Landschaft lebt, von
einem Typus, von etwas Abstraktem, dessen lebendige Fülle doch
lediglich in der Wirklichkeit faßbar ist, wo immer nur
einmalige, unwiederholbare und unvergleichbare
persönlichkeitsgeformte Lebenskräfte auf- und niederfluten. Wie
kann man also zum Beispiel „den" Österreicher schildern, da doch
Leben in Österreich so unendlich mannigfaltig ist wie in aller
Welt? Und dennoch: nie geben wir das Bestreben preis, das
Allgemeine jenseits alles Besonderen,
ein Ideales, Geschautes, Gedachtes als erhoben über dem
Einmaligen, Zufälligen, Verschwindenden zu erfahren. Der
einzelne verleiht zwar der Erde Sinn und Ziel; aber er stirbt,
stirbt millionenmal und läßt nichts zurück als die Erinnerung in
den Nachfahren, die mit diesen wieder stirbt. Aus dem dauernden
Tod lebendigen persönlichen Daseins befreit sich nur der Geist
von den Fesseln der Vergänglichkeit und sucht in einer
umfassenderen Form das zu halten, was lebt und sterben muß. Eine
Stufe dem Ziel entgegen, die Erhaltung des Ganzen vor der
Vernichtung zu bewahren, der immer der Teil, das Individuelle
verfallen ist, betritt der Philosoph, wenn er den Menschen einer
Landschaft schildern will. Hier hilft ihm die Natur selbst, die
in unablässigem Generationenwechsel das allem Aufflutenden und
Verebbenden Gemeinsame erhält, die Seele und die Art, von der
sie alle die Vielen geprägt werden, welche in den Städten,
Tälern und auf den Höhen eines Landes leben.
Österreich - das ist der Name für eine sonderbare Tatsache, die
ihresgleichen kaum hat, und seine Inwohner, ihr Schicksal und
ihre Wesensart mitbestimmen half. Österreich ist ein Name für
eine bestimmte Landschaft, die sich vom Marchfeld bis an den
Bodensee erstreckt. Gleichzeitig benennt es auch etwas viel
Größeres, ungleich Mannigfaltigeres und völlig von diesem
Österreich Verschiedenes, das einst von Rußland und der Türkei
bis nach Sachsen, Bayern und die Schweiz reichte. Auch das war
Österreich und in ihm sind ja die Menschen dieser Zeit geboren
und herangewachsen, für sie ist noch vieles davon Erinnerung und
als solche Gegenwart. Wer von uns heute etwa nach Böhmen oder
Istrien reist, dem wird ein Stück der Jugend lebendig, er hat
für sich auf dieser Reise Österreich nicht verlassen. Diese
geographische und politische Tatsache ist nicht gleichgültig,
will man von unserem Menschen etwas aussagen, das seine Eigenart
wiedergibt. Der Österreicher ist in eine merkwürdige
Gegensatzkette eingeschaltet; diese Reihe von Polaritäten
beginnt damit, daß der Mensch unserer Landschaft, der reife,
bewegliche, welchen Standes er auch sei, immer wieder erfahren
muß, wie sehr er gleichzeitig zwei seelischen Regionen angehört.
Die eine ist die landschaftlich und politisch fest umgrenzte,
durchaus wirkliche Gegenwartswelt, das deutsche, das neue
Österreich, so und so beschaffen, so und so besiedelt, so und so
lebend, unser immanentes Schicksal von heute. Das andere ist das
„schwarz-gelbe" Österreich, unserem heutigen Erleben
transzendent und flüchtig geworden, aber eine historische
Wirklichkeit, die in der Mehrzahl der Bewohner unseres Landes
noch vorhanden ist und irgendwie in ihrer Seele weiter wirkt und
schafft. So wird in ein und derselben Seele bereits mythisch
gewordene Geschichte einer lebendigen noch geschichtslosen
Gegenwart gegenübergestellt, sie und die Vergangenheit stoßen da
unablässig aufeinander und bedingen eine eigenartige innere
Spannung: das gibt unserem öffentlichen Leben eine bestimmte Art
und bestätigt ihrerseits wieder die seit je vorhanden gewesene
Tragödie des österreichischen Menschen. Kein Land hat in der
neuesten Zeit diese einzigartige „Reduktion" erfahren, nicht
bloß im räumlichen Sinne, das würde wenig besagen, sondern im
seelischen: die Zurückführung von einer bereits metaphysisch
gewordenen Vergangenheit auf eine wirklich gewordene jener nur
teilweise vergleichbaren Gegenwart. Der Österreicher dieser Tage
mußte sich und muß sich fortwährend rückbilden, er muß sein
politisches Tätigkeitsbereich einschränken und damit den Umkreis
seines äußeren Lebens verkleinern. Das aber widerspricht dem
Lebenstrieb, der nach Ausdehnung verlangt. So entsteht also eine
Spannung, bewegtes Zeichen für einen tiefliegenden Zwiespalt,
der seit je unserem Lande und unseren Menschen innewohnte. Daß
diese Reduktion weltgeschichtliche Tatsache werden konnte, daß
wir als „Rest" in eine neue historische Welt eingetreten sind,
dies war nur darum möglich, weil die Fähigkeit, sich selbst zu
verkürzen - es ist ein tiefes Leiden - immer im Österreicher
verwurzelt war. (....)
Der österreichische Mensch vom William M.
Johnston
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