DAS
INDISCHE APOSTOLAT
von Dr. Hans Prager,
Rotapfel-Verlag, Erlenbach-Zürich und Leipzig, 1925,
84 Seiten
(Textauszug, S.7)
"Gott ist die synthetische Persönlichkeit eines ganzen
Volkes von seinem Anfang bis zu seinem Ende." Dostojewski
spricht diesen großen Gedanken, einen der höchsten, den
die Geschichte kennt, in seinem Roman "Die Dämonen"
aus. Ergriffen und durchglüht ist er von dem Gefühl, daß
Rußland einen Gott habe, den seinen, und daß
dieser russische Gott der ganzen Welt die Erlösung bringen
werde. Kein Volk kann ohne Gott sein, ist Dostojewskis tiefste
Überzeugung, auf der sein Lebenswerk beruht, und jedes Volk
glaubt, daß sein Gott der Heilbringer für alle sei. Alles, was
eine Nation an Kräften in sich birgt, sammelt sich in einem
Becken und gewinnt darin Gestalt. Gott ist die aus dem Boden,
aus der Erde emporblühende Einheit, die jeder Nation ihre
Einzigartigkeit bedeutet. Dieser nationale Gott kann jedoch
nicht in sich ruhen; er muß wachsen und sich verbreiten über
die ganze Oberfläche der Erde. Hierin birgt sich das Leiden der
Welt: daß nämlich alle Götter der Erde dasselbe wollen, daß
sie einander ausschließen und in Missionarreligionen der Gefahr
der Vereinzelung und Erniedrigung verfallen. Diese dämonische
Folge des unvollkommenen menschlichen Strebens nach dem Heiligen
verwehrt dem religiösen Gefühl die Übereinstimmung mit sich
selbst. aus dem Russischen spricht hier Europas tragisches
Schicksal: zersplittert in einander sich bekämpfende Nationen,
Konfessionen, Klassen, sucht jeder Teil nach seinem Gott, und in
diesem chaotischen Getriebe droht die Gottheit selbst ins
Wesenlose sich zu verströmen.
Rußland mußte in Dostojeskis Weltanschauung1) sich und Europa
bekennen, was der tiefste Sinn seines und des Westens Schicksal
sei und daß der Weg der Menschheit nach dem Osten gehe2).
Deshalb ist Rußland Europas äußerstes Ende im geographischen
Sinne sowohl wie im geistigen, gleichzeitig aber auch die
Stätte, von der aus unsere Wiedergeburt erfolgen kann. Hier
kündigt sich ein Weg für die Menschheit an, einstweilen noch
geschaut von der Sehnsucht eines einzelnen, großen Menschen,
der den nationalen Gott in sich trägt, mit der Erde seiner
Heimat verwurzelt ist. Was aber in Dostojewski noch Vision ist,
noch Weltanschauung, die aus der Sehnsucht stammt, das ist in
jüngster Zeit in Indien der Verwirklichung nähergeführt. So
geht also tatsächlich der Weg nach dem fernen Osten; die
apostolische Idee Rußlands, von Dostojewski synthetisch
erschaut, künstlerisch und philosophisch durchgebildet und
durchgedacht, schickt sich an, in Indien gerade in diesen
Tagen wirklich zu werden, wird dort zur unerhörten
Tatsache, zum Apostolat.
*
(.....)
1)
Dargestellt von mir in dem gleichnamigen Buche (Verlag Borgmeyer,
Hildesheim)
2)
Felix Braun hat in einem tief durchdachten Aufsatz "Der Weg
der Menschheit" (Österr. Rundschau vom 15. VIII. 1919) den
Schicksalsweg Europas dargestellt, den er dann in Amerika enden
läßt, wo Osten und Westen zusammentreffen. Das Ende ist ungewiß,
aber die Richtung des Weges nach dem Osten ist gewiß.
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